Erlebnisbericht: Von der Stadt der Flora Westfalica in den Ort der Pflaumen

Radlerin © Flora Westfalica
Radlerin © Flora Westfalica

Rundtour von Rheda-Wiedenbrück nach Stromberg

 

Von der Emsniederung in die Beckumer Berge - "das klingt nach reichlich Höhenmetern und schweißtreibender Kraxelei", denke ich. Doch weit gefehlt. Die Tour vom ostwestfälischen Rheda-Wiedenbrück in das benachbarte Oelde-Stromberg im Münsterland ist so flach wie eine Flunder. Na ja, den kleinen Anstieg zum Stromberger Burgberg und die spätere Abfahrt mal ausgenommen. Doch alles in allem sind die 30 Kilometer wunderbar zu radeln.

 

Die Tour ist ideal für einen aktiven Feierabend oder eine entspannte Tour am Wochenende. Ich entscheide mich für den Sonntagnachmittag. Und das aus gutem Grund. Doch davon später mehr.

Alltagsmenschen © Flora Westfalica
Alltagsmenschen © Flora Westfalica

Los geht's an der neuen Stadthalle von Rheda-Wiedenbrück. Sie liegt zwischen den beiden historisch gewachsenen Stadtkernen, sozusagen in der Mitte des Naturparks Flora Westfalica. Ich steuere mein Rad in südöstlicher Richtung. Das erste Etappenziel ist die Innenstadt von Wiedenbrück mit ihren zahlreichen Fachwerkhäusern.

 

Der erste kurze Stopp ist am Emssee, von hier entfaltet das Altstadt-Panorama mit der Pfarrkirche St. Aegidius eine besondere Wirkung. Über den modernen Konrad-Adenauer-Platz, der demnächst eine Treppenanlage an der Ems als neue Attraktion erhält, geht es weiter in Richtung Stadtrand. Ich lasse Rathaus und Marktplatz sowie den alten Amtssitz Reckenberg rechts liegen und erreiche nach wenigen hundert Metern die Stelle, wo die im Mittelalter angelegte Umflut von der hier noch jungen Ems abzweigt.

Haus Aussel © Flora Westfalica
Haus Aussel © Flora Westfalica

Über die Emspromenade, die im Frühjahr mit ihren rosa blühenden japanischen Kirschbäumen einen ganz besonderen Reiz entfaltet, geht es zum Wiedenbrücker Stadtholz. Ich durchquere den Stadtwald in südlicher Richtung und stoße danach auf die Bokeler Straße. Hier orientiere ich mich nach rechts und biege dann links in den Haus-Aussel-Weg im Ortsteil Batenhorst ein. Die kleine Straße mündet in einen Waldweg. Zwei umgestürzte Bäume mitten auf dem Weg zwingen mich vom Sattel und zu Fuß auf Trampelpfade über den weichen Waldboden bis zur Überführung der Bundesstraße 55.

 

Oben auf der Brücke angekommen, erblicke ich den alten Burgmannshof Haus Aussel aus dem Jahr 1580. Um das zu Beginn der 80er Jahre vom Verfall gerettete stattliche Fachwerkensemble herum ranken sich einige Legenden. So soll hier einst in hellen Vollmondnächten eine Frau in weißem Gewand ihr Unwesen getrieben haben. Nach einem Blick auf die von einer Gräfte umgebene Anlage kehre ich dieser den Rücken zu und radele wieder über die B 55-Brücke.

Radleridylle © Flora Westfalica
Radleridylle © Flora Westfalica

Ich stoße auf die alte Lippstädter Straße, biege links ab, fahre über die rechter Hand liegende Hofstelle und gelange nach etwa zwei Kilometern zur ersten Pausenstation: Der Ausflugsgaststätte „Zum Alten Hut“. Benannt ist sie nach der früheren Betreiberfamilie Althoetmar. Wirtin Hilde Althoetmar galt lange als älteste Wirtin weit und breit. Erst mit 91 Jahren drehte sie ihren Zapfhahn endgültig hoch. An ihrer Stelle steht jetzt Dagmar Gröne hinter dem Tresen, um Spaziergängern und Radlern aller Couleur verdiente Erfrischungen zu reichen.

 

Wieder im Sattel geht es in westlicher Richtung durch ein kleines Wäldchen und über den Matheweg zur Höchtestraße. Sie bringt uns zum Grenzweg, der nicht nur so heißt. Er markiert auch tatsächlich die Grenze zwischen Ostwestfalen und dem Münsterland, den Kreisen Gütersloh und Warendorf und den Bistümern Münster und Paderborn. Durch die Siedlung „Rousendorp“, die ihren Namen von der einst unwegsamen (Plattdeutsch: „räusen“) Wegstrecke erhielt, gelange ich nach Unter-Stromberg.

Schnapsbrennerei Druffel © Flora Westfalica
Schnapsbrennerei Druffel © Flora Westfalica

Hier führt (fast) kein Weg vorbei an der Schnapsbrennerei Druffel. Der im Jahr 1792 als Kornbrennerei gegründete Betrieb befindet sich seitdem in Familienbesitz. Druffel hat sich in der Region und darüber hinaus einen Namen gemacht als Destillerie, die „Stromberger Pflaumen“ – übrigens eine geschützte Herkunftsbezeichnung – und anderes Obst zu Hochprozentigem veredelt. Man muss ja nicht gleich tief ins Glas schauen, doch einen Besuch ist das hübsch eingerichtete Werkverkaufslokal allemal wert. Und Brennmeister Jochen Druffel gibt gern Auskunft über Tradition, Herstellung, Geschmack und Vertrieb seiner Erzeugnisse.

 

Nur wenige Meter weiter verlangt mir die Tour eine Entscheidung ab: Biege ich rechts ab und kämpfe ich mich im Sattel auf der Straße hinauf nach Ober-Stromberg, oder wähle ich den Fußweg, der 100 m weiter geradeaus von der Straße rechts abzweigt?

Blick vom Stromberg © Flora Westfalica
Blick vom Stromberg © Flora Westfalica

Ich entscheide mich für die scheinbar leichtere Variante, komme beim Schieben meines Rades aber dennoch ordentlich ins Schwitzen. Oben angelangt, orientiere ich mich nach links und erreiche über einen kleinen Heckenweg den Stromberger Burgberg. Ein fantastischer Blick weit ins Land bis zum Haarstrang belohnt mich für die Strapaze.

 

Der Burgberg ist nicht nur Standort der Wallfahrtskirche Heilig Kreuz, sondern im Sommer auch Spielstätte der Freilichtbühne Stromberg mit 688 Plätzen. Ihre Bühne – das sind die Stufen zur Kirche. Dort spielt das 175-köpfige Ensemble Theater für Kinder und Erwachsene.

 

Ich drehe Freilichtbühne und Kirche den Rücken zu und verlasse den Burgberg über das Torhaus, lasse den Ortskern rechts liegen und gelange zur Hauptstraße, der ich nach rechts bis zu einer kleinen Kapelle in einer 90-Grad-Kurve folge. Links an der Kapelle vorbei führt der Weg durch ein kleines Waldstück zu einer Hofstelle. An der Querstraße am Ende des Weges steht auf der rechten Seite der Stromberger Sendemast. Von der noch jungen Aussichtsplattform genieße ich den Fernblick über die Münsterländer Bucht bis zum dunklen Band des Teutoburger Waldes.

Haus Nottbeck © Flora Westfalica
Haus Nottbeck © Flora Westfalica

Wieder auf der Straße zurück, kommt das kräfteschonendste Teilstück der gesamten Tour: In rasender Schussfahrt rolle ich rechts den Berg hinab bis ins Tal. Danach sind nur noch wenige Tritte in die Pedalen nötig, um die Zufahrt zum rechts gelegenen Haus Nottbeck zu erreichen. Das ehemalige Rittergut beherbergt heute in seinen Mauern das Westfälische Literaturmuseum. Neben einer Dauer-Ausstellung sind hier stets auch interessante Sonderausstellungen zu sehen.

 

Ich widme mich an dieser Stelle hingegen mehr der Backkultur und suche das von der Stromberger Bäckerei Teeke in einem Nebengebäude an den Wochenenden betriebene Café auf. Alleinstellungsmerkmal von Teeke sind die Tortenstücke mit einer Länge von 25 (!) cm, die nicht nur groß ausschauen, sondern auch großartig schmecken. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich am Sonntag auf die Tour nach Stromberg begeben habe.

Auf diese Weise mit frischer Energie ausgestattet geht es auf den Heimweg. Nach dem Überqueren der Nottbeck-Gräfte, orientiere ich mich nach links und an der Hauptstraße nach rechts. Drei Kilometer weiter liegt in einer Rechtskurve der Hof Rentrup. Er ist das Zuhause von Bildhauerin Petra Rentrup, die interessierten Radlern gern Einblicke in ihr Schaffen gewährt und/oder die Ausstellung mit ihren Werken zeigt. Unter dem Dach des Nebengebäudes hat sich mit der Firma „Fish ‚n‘ smoke“ auch ein Start-Up-Unternehmen angesiedelt. Die Fischräucherei von Rentrups Neffe Stephan Austermann beliefert nicht nur die heimische Gastronomie, sondern auch private Veranstalter und Gastgeber. Wenn seine Frischtheke gerade mit Canapées gefüllt ist, lädt Austermann gern zu einer Kostprobe ein.

Vom Hof Rentrup zweimal nach links abgebogen, erblicke ich schon bald die Silhouette von St. Vit. Mit seiner barocken Kirche hat der überaus lebendige Stadtteil von Rheda-Wiedenbrück ein wahres Kleinod zu bieten. Im Schatten der Kirche wird gerade das alte Küsterhaus renoviert. Es soll zum neuen Dorfmittelpunkt und Veranstaltungszentrum umgebaut werden. Dabei und bei etlichen anderen St. Viter Projekten ist viel private Initiative im Spiel.

 

So, und dann heißt es „Endspurt, auf zur letzten Etappe“. Wieder zurück auf der Stromberger Straße wende ich mich nach links, lasse St. Vit hinter mir und stoße - jetzt wieder im Ortsteil Wiedenbrück – auf den Lümernweg. Hier links abgebogen geht es zur Hauptstraße, die die beiden großen Stadtteile miteinander verbindet. Ich schiebe mein Rad über die Hauptstraße, fahre dort weiter in die Straße „Auf der Warte“ bis zur ersten Kreuzung, wo ich rechts abbiege und vor dem Seecafé auf den Emsradweg stoße, der mich - nach links folgend – wieder zum Ausgangspunkt an der Stadthalle führt.